Immer wieder werden mir nach Konzerten und bei diversen anderen Gelegenheiten, wenn allgemeines Interesse an Kompositionen geäußert wird, folgende Fragen gestellt:
Warum komponieren Sie überhaupt?
Warum komponieren Sie so?
Warum können Sie so komponieren?
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Um der Beantwortung dieser Fragen durch Fremde zuvor zu kommen und alle hinkünftigen Spekulationen im Keim zu ersticken, möchte ich Antworten geben, die ich auch an anderer Stelle in dieser meiner Website in meinen Reden und in Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst formuliere.
Offiziell bin ich ein klassisch Spätberufener, da ich erst 2001 mit der Uraufführung meines Opus 1, einem konzertanten Lied, im Wiener Musikverein an die Öffentlichkeit getreten bin. Doch reichen meine gedanklichen Kompositionen sehr weit zurück. In der ersten Klasse eines Wiener Realgymnasiums lieferte ich, wie viele andere Mitschüler, die so wie ich Blockflöte spielten, auf Geheiß unserer Musiklehrerin eine kurze Komposition ab. Es ist vielleicht bezeichnend für einige Zustände unserer Zeit, dass ich bei Abgabe der Noten von dieser Lehrerin der Lüge bezichtigt und mir eine Strafe in Aussicht gestellt wurde, so ich weiter behaupten würde, dass die abgegebene Komposition von mir stamme. Als zehnjähriges Kind habe ich mich nicht zur Wehr gesetzt. Es könnte vermutet werden, dass damals bei anderem Verhalten der Lehrerin ein anderer Lebensweg resultiert wäre, dass ein Talent früh gefördert worden wäre. Doch ich grolle in keiner Weise. Frei nach dem von mir so geschätzten Goethe - Wort „ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und nur das Gute schafft“ ist mir eine „Förderung“, die wohl nur eine Einengung hinsichtlich vorgegebener Richtlinien gewesen wäre, erspart geblieben. So hat in den Jahren danach ab meinem 15. Lebensjahr „nebenbei“ während exzessivem, bis zu täglich zehn Stunden Klavierspiel reifen können, was ich als „unbewusstes Wissen“ über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Kompositionstechniken bezeichne.
Ganz abgesehen davon bin ich überzeugt, dass Komponieren im eigentlichen Sinn nicht erlernbar ist. Gleiches gilt für andere Kunstsparten. Techniken, die zur Kunstausübung benötigt werden, können gelernt werden und müssen es auch, vor allem in den bildenden Künsten. Wie aber soll lehr- und lernbar sein, was an den größten Kunstwerken vergangener Epochen bis heute rätselhaft geblieben ist? Wie können die in Schuberts genialem Streichquintett niedergeschriebenen Melodien, Harmonien und aufschreienden Dissonanzen (!) einerseits Zufall und andererseits per Kompositions - Rezeptur vermittelbar sein?
Manche „zeitgenössische“ Komponisten erwecken den Eindruck, dass Schuberts Musik ihnen so selbstverständlich geläufig sei, dass sie sich mit derart banalen Dingen in ihrer Entwicklung erst gar nicht aufhalten, sondern sich lieber gleich per z. B. mikrotonaler Kompositionen „selbstverwirklichen“. Es ist mir bekannt, dass sich schon im 11. Jahrhundert in der Handschrift eines gewissen Montpellier innerhalb der dort aufgezeichneten gregorianischen Gesänge Mikrotonzeichen, die auf altgriechische Tonhöhenzeichen zurückführbar sind, finden. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass alles schon einmal da gewesen ist. Doch handelte es sich dabei um mehr oder weniger reizvolle gedankliche Spielereien, die bei günstigsten Voraussetzungen eine interessante, vielleicht sogar genialistische Erfahrung ermöglichten, wenn sie PASSEND eingesetzt wurden. Aus dem Zusammenhang gerissen und sich verselbstständigend machen all diese Kompositionstechniken auf mich den Eindruck einer aus dem Gesamtorganismus sich lösenden und wuchernden Krebsgeschwulst, die alles begehrt, was sie zum Leben braucht, sich aber nicht im geringsten darum kümmert, ob der Gesamtorganismus darüber stirbt.
Manche Kunst ist tatsächlich ein Zeichen und ein Symptom der Zeit und sollte daher tatsächlich ernst genommen werden, aber nicht so, wie es geschieht. Ein Krebsgeschwür verlangt zur Aufrechterhaltung seiner uferlosen Wachstumstendenzen nach ordentlicher Gefäßversorgung. Doch wer käme auf die Idee, Krebs zu bekämpfen, indem er das Geschwür mit noch mehr Blut besser versorgt? Krebs ist, hier sind sich nahezu alle namhaften Forscher inzwischen einig, zu einem Großteil eine Systemerkrankung. Die nachhaltigsten Heilungen werden erreicht, wenn der Gesamtorganismus Mensch in seiner Leib - Seele - Einheit gesundet. Nur „Stahl und Strahl“, ergänzt durch Chemotherapie sind oft zu wenig. – Umgelegt auf den Vergleich zu manchen Ausformungen moderner Kunst bedeutet dies, dass bloßes Verbieten dieser Kunst nur dem Wegschneiden einer Krebsgeschwulst entspräche, den Ursachen jedoch nicht auf den Grund gegangen würde.
Wir müssen daher die spezifische Genialität der ernsthaften modernen Kunst in ihrer Fähigkeit der Gesellschaftskritik und der Anprangerung von Geistlosigkeit durch verstärktes Darstellen eben dieser Geistlosigkeit erkennen, dürfen sie jedoch nicht als der Weisheit letzten Schluss betrachten. Die moderne Kunst ist nicht Wegbereiter der Zukunft, sondern beschreibt die Gegenwart.
Noch ein Wort zu den mikrotonalen Kompositionen sei mir erlaubt: Wissend, dass selbst herkömmliche tonale Musik in den seltensten Fällen wirklich richtig intoniert interpretiert wird, erscheint der Versuch einer Musik, die Musikern noch viel engere Vorschriften hinsichtlich perfekter Intonation macht, völlig absurd und geht an jeder Realität vorbei. Es ist daher nur zu logisch, dass die meisten, derartige Dinge fabrizierende Komponisten auf elektronische Instrumente ausweichen müssen, die ihr seltsam ursprünglich anmutendes Zirpen, Pfeifen und Knattern wenigstens in genau vorgegebener Tonhöhe wiedergeben können. „Back to the roots“, kann man da nur feststellen. Nun ja, aus solchen roots wachsen sicher wieder einmal schöne Pflanzen. Daher: Bitte nicht ausreißen, sondern geduldig warten.
Was haben all diese Überlegungen mit den einleitenden Warum - Fragen zu tun? Sehr, sehr viel. Solche Überlegungen MÜSSEN den die Zusammenhänge Erkennenden geradezu herausfordern, tätig zu werden, wie auch immer, je nach den zur Verfügung stehenden Mitteln.
Eine erste Antwort auf die Frage nach dem „warum komponieren Sie“ lautet somit: Weil mich die soziokulturellen Umstände dazu zwingen.
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Jeder fundiert arbeitende Mensch möchte wohl sein Bestes auf dem jeweiligen Gebiet geben, sollte man zumindest meinen. Und deshalb wird selbstverständlich jeder Künstler bestrebt sein, zur Umsetzung seiner Überzeugungen jene Technik bestmöglich einzusetzen, mit der er seine Stimmungen für sich selber und sein Publikum transportiert. Beachten Sie dabei das Wort „Stimmung“, das für einen Komponisten eine ganz spezielle Bedeutung erlangt. Nun, dass eher selten Bestmögliches gegeben wird, erleben wir ja täglich, und das in allen Berufen, die ja zumeist gar keine Berufung darstellen. Menschen, die aus dem Zwang heraus, Geld verdienen zu müssen, einer Betätigung nachgehen, verzeihe ich, dass sie lustlos arbeiten. Menschen, die aus eigener Überzeugung arbeiten, verzeihe ich Lustlosigkeit und mangelnde Qualität nicht. Sich als „Künstler“ zu bezeichnen, um Faulheit zu legitimieren oder Ratlosigkeit zum Ausdruck zu bringen, lehne ich kategorisch ab.
Manche meinen, dass technischer Fortschritt Kreativität behindere. Ich kann diese Gedanken nicht teilen, da Technik sehr hilfreich ist für die Umsetzung und Verbreitung kreativer Ideen. Hätte etwa die Fa. SONY 1979 nicht ihren ersten kassettenbasierten Walkman auf den Markt gebracht, hätte ich mich in den Folgejahren nicht hunderten Stunden Musik über Kopfhörer in der freien Natur hingeben können. Aus dieser Zeit stammen einige Erkenntnisse. Z. B. ist mir aufgefallen, dass Schuberts Musik derart mit der Natur verschmilzt, dass sie aus dieser absolut logisch herauszuwachsen scheint, als ob Schubert nur mehr niedergeschrieben hätte, was ihm die Natur bei seinen vielen Spaziergängen in der Wiener Umgebung erzählt hat. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die Diskussion über die richtige Wahl der Tempi bei Schubert ganz leicht zu einem richtigen Ergebnis käme, wenn man sich in den Rhythmus eines Wanderers versetzte. Die schnellen Tempi liegen entsprechend flottem Gehen stets um 120 herum, was zwei Schritte pro Sekunde bedeutet. Bei den langsamen Tempi kann man sich ebenfalls das Schreiten eines Traurigen, Entsagenden oder Kranken vorstellen. Dabei fällt auf, dass Schuberts schnelle Sätze zumeist (viel) zu schnell und seine langsamen Sätze (viel) zu langsam interpretiert werden, was seiner Musik automatisch sehr schadet. Idealbeispiele perfekter Tempi finden sich bei einem wahren Könner seines Faches, bei Karl Böhm (für Mozart und Schubert absolut perfekte Tempowahl) und bei einem der genialsten Tenöre aller Zeiten, bei Fritz Wunderlich, in Liedgemeinschaft mit dem Pianisten Hubert Gießen.
Seit erst wenigen Jahren ist die Technik der Computer so weit fortgeschritten, dass komplexe Programme den Menschen bei diversesten Arbeiten hilfreich sind, so auch z. B. beim Komponieren. Auch ich verwende Notationsprogramme zum Komponieren und – inzwischen klanglich immer annehmbarer werdende – virtuelle Instrumente zu Demozwecken. Diese Techniken verpflichten eigentlich dazu, die enorm gestiegenen Möglichkeiten des Komponierens, vor allem hinsichtlich Schnelligkeit und Präzision der Noteneingabe, sinnvoll zu nutzen. Allen in diesem Zusammenhang eventuell entstehenden Fragen gebe ich vorweg eine eindeutige Antwort: Diese Notationsprogramme haben keinerlei Einfluss auf die Kreativität. Sie behindern sie nicht, sie fördern sie aber auch nicht. Es soll sich also niemand der Hoffnung hingeben, er könne komponieren, wenn er das Notationsprogramm bedienen könne. Nirgendwo sonst ist die Kluft zwischen Programm und - mit Hilfe dieses Programms erstelltem - Produkt so groß wie bei einem Notationsprogramm.
Die zweite Antwort auf die Frage nach dem „warum komponieren Sie“ lautet somit: Weil es geradezu eine Sünde wäre, die technischen Fortschritte nicht zu nutzen.
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Jede große Komposition vergangener Eppochen lässt den Zuhörer die angewendete Kompositionstechnik vergessen. Kompositionstechniken sind Hilfsmittel des Komponierens. Mit einer kompositionstechnischen Vorgabe kann oftmals schneller komponiert werden, als wenn bei jeder Komposition „die Welt neu erfunden werden müsste“. Kompositionstechniken helfen auch minder begabten Komponisten, ihre Komposition in Momenten des „geistigen Nirwanas“ weiterzutreiben. Warum besuchen denn so viele - teilweise gänzlich – Unbegabte Kompositionskurse? Weil sie hoffen, über die Technik dem Geist großer Komponisten auf die Spur zu kommen und selber „groß“ zu werden. Geborenen Komponisten (selten ist das Wort „geborenen“ so zutreffend wie hier) sind Kompositionstechniken eine Selbstverständlichkeit, mitunter eine Herausforderung, selbst die schwierigsten kompositionstechnischen Vorgaben mit großem Geist bruchlos ausfüllen zu können. – Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang Albert Einstein aus einem Brief an Max Born vom 4. Dezember 1926 (Einstein-Archiv 8-180, zitiert nach Alice Calaprice (Hrsg.): Einstein sagt, Piper-Verlag, München, Zürich 1996, ISBN 3-492-03935-9, Seite 143) zitieren:
„Die Quantenmechanik ist sehr Achtung gebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, dass das noch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der Alte nicht würfelt.“
Gleiches gilt für Kompositionstechniken: Sie liefern viel, aber dem Geheimnis des Alten bringen sie uns kaum näher. Bezeichnenderweise hat der österreichische Komponist Josef Matthias Hauer (1883 – 1952) Zwölftonreihen gewürfelt und in Zwölftonspielen weiter entwickelt. Somit bringen dessen Überlegungen klar zum Ausdruck, was auch Einstein formuliert: Achtung gebietende Spielereien; nicht mehr und nicht weniger!
Immerhin hat Einstein auch folgende Aussage getroffen (zitiert nach Armin Hermann: "Albert Einstein", Piper, München 1994, zitiert nach Alice Calaprice (Hrsg.): Einstein sagt, Piper-Verlag, München, Zürich 1996, ISBN 3-492-03935-9, Seite 225):
„Mozarts Musik ist so rein und schön, dass ich sie als die innere Schönheit des Universums selbst ansehe.“
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Mozarts Kompositionen sind ebenso wenig zufällig entstanden wie das Universum. Mozart kann somit als ein ganz spezieller Sohn Gottes bezeichnet werden. In ihm hat sich der sogenannte logos spermatikos (siehe meine Rede „Der Logos in der Musik“) zu einem gewaltigen Feuer entwickelt, dessen Schein weithin sichtbar ist und auf die meisten Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und Rasse anziehend wirkt. Eine große logische Komposition vermittelt dem Zuhörer stets den Eindruck des „so sein Müssens“, als ob es gar nicht anders sein könnte. Jede Tonfolge ist logisch, alles erscheint einfach. Da reicht kein Zufall hin! Diese Darstellung belege ich gerne mit einem dritten Einstein – Zitat (von Pinchas Lapide in seinem Buch "Mit einem Juden die Bibel lesen", Calwer Kösel Stuttgart 1982):
„Wenn dieses Universum in all seiner millionenfachen Ordnung und Präzision das Ergebnis eines blinden Zufalls sein sollte, so ist das so glaubwürdig wie wenn eine Druckerei in die Luft geht, worauf alle Druckbuchstaben wieder herunterfallen in der fertigen fehlerlosen Form des Duden-Lexikons.“
Die dritte Antwort auf die Frage nach dem „warum komponieren Sie“ lautet somit: Weil ich es nicht lernen musste.
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Der Frage „Warum komponieren Sie so?“ könnte ich pointiert mit der Gegenfrage „warum denn nicht so?“ begegnen. Ich denke, dass solch eine Frage bei Komponisten, die unter der Zwangsneurose des „anders sein zu müssen“ leiden, viel angebrachter wäre. Und doch möchte ich eine ernsthafte Antwort geben:
Wenn Sie sich die – im universalen Zeitmaß betrachtet – sehr kurze Zeitspanne der Menschheitsentwicklung in die Erinnerung rufen, wird Ihnen auffallen, dass die großen, von der Historie nachträglich so bezeichneten Epochen von der Antike über Romanik, Gotik, Renaissance, Barock, Klassizismus, Romantik, Biedermeier bis zum Historismus (nicht vollständig aufgezählt) durchwegs von der zugrunde liegenden, intuitiven Überzeugung einer übersinnlichen Macht getragen werden, die alle großen Kunstwerke dieser Epochen vermitteln: Ut in omnibus glorificetur deus! (Auf dass Gott in allem verherrlicht werde!) Allerdings sind in Romantik und Biedermeier bereits Zerfallserscheinungen dieser tragenden Überzeugungen erkennbar, was Künstler zur klassischen romantischen Weltflucht bewegte, weil sie sich von ihrem Umfeld nicht verstanden sahen und eine unglaubwürdig gewordene Kirche keine Kraftquelle mehr sein konnte. Die Natur avancierte zur Bibel Gottes. Das Negieren klerikaler Vorschriften führte z. B. bei Schubert zu weltlicher Sichtweise sogar in seinen Kirchenmusikwerken. Er trug sozusagen die Gedanken der Aufklärung in die Kirche, floh jedoch gleichzeitig vor den aufklärerischen Ideen, die in Ermangelung tieferer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse die Existenz Gottes in Frage stellen mussten, aus der realen Welt in eine übersinnliche Welt, in der er seinen Überzeugungen freien Lauf lassen konnte. In diesem Zusammenhang sei ein zentral wichtiges Gedicht Schuberts zitiert, dessen Inhalt nahezu prophetisch bis in unsere aktuelle Zeit reicht und das gleichzeitig beweist, wie Künstler vom Schlage eines Schubert gedacht haben:
Klage an das Volk
O Jugend unsrer Zeit, du bist dahin!
Die Kraft zahllosen Volks, sie ist vergeudet,
Nicht einer von der Meng' sich unterscheidet,
Und nichtsbedeutend all' vorüberziehn.
Zu großer Schmerz, der mächtig mich verzehrt
Und nur als letztes jener Kraft mir bleibet,
Denn tatlos mich auch diese Zeit zerstäubet,
Die jedem Großes zu vollbringen wehrt.
Im siechen Alter schleicht das Volk einher,
Die Taten seiner Jugend wähnt es Träume,
Ja spottet töricht jener goldnen Reime,
Nichtsachtend ihren kräft'gen Inhalt mehr.
Nur dir, o heil'ge Kunst, ist's noch gegönnt,
Im Bild die Zeit der Kraft und Tat zu schildern
Um weniges den großen Schmerz zu mildern,
Der nimmer mit dem Schicksal sie versöhnt.
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Solche Überzeugungen kommen in Schuberts Musik in seinen berühmten moll - Dur - Wechseln zum Ausdruck. In seinen größten Kompositionen bedeutete der Wechsel nach Dur stets die Abkehr von dieser Welt und die Hinwendung zu überirdischer Schönheit. Nun, Schubert war es noch gegönnt, die Zeit der Kraft und Tat zu schildern...
Historismus, Realismus, Impressionismus und Jugendstil lassen eine übersinnliche, göttliche Kraft immer weniger erkennen. Gleichzeitig wirken manche Kunstformen wie eine Befreiung von den "Bildern" unglaubwürdiger Herrscher. Die neu gewonnene Freiheit der Kunst macht ehemals Undenkbares immer interessanter. Während das Kollektiv Menschheit das Wissen bzw. den Glauben um seine zentrale Stellung im Universum verliert, erwächst dem Individuum und dessen beschränkter Gedankenwelt immer mehr Bedeutung.
Folgerichtig musste eine Moderne entstehen mit ihren vielfältigen Ausformungen wie z. B. Expressionismus, Kubismus, Futurismus, Abstraktion und Bauhaus, Dadaismus, Surrealismus, Neue Sachlichkeit, Pop-Art, Fluxus, Photorealismus. Es fällt auf, dass die Zeitspannen bis zum Entstehen einer neuen Kunstrichtung – die Bezeichnung Epoche ist ja hier nicht mehr treffend – immer kürzer werden. Wir erleben eine Explosion an Gedanken und Ideen bei gleichzeitiger Implosion des geistigen Antriebes, womit wieder der Vergleich zu einem Krebsgeschwür auf der Hand liegt: Die Krebsgeschwulst kann sich entwickeln, weil der Gesamtorganismus sie nicht mehr unter Kontrolle hat, weil ein „von der Gedanken Blässe“ behinderter Körper insgesamt nicht mehr richtig funktioniert und sein Immunsystem erste Krebszellen nicht mehr eliminiert. In dieser Zeit verliert der „Gläubige“ immer mehr Kraft, die Kirche immer mehr an Einfluss, da die traditionellen Methoden der Gottesanbetung in einer aufgeklärten, wissenschaftsgläubigen Welt wie ein verstaubtes Relikt aus grauer Vorzeit anmuten und daher sich Traditionellem verpflichtet fühlenden Künstlern keine Durchsetzungskraft mehr verleihen können. Nun meinen manche Kirchenkreise den Weg der Anbiederung, z. B. an moderne Kunst, gehen zu müssen, um die Institution Kirche zu retten, anstatt sich auf naturwissenschaftlicher Ebene in einen neuen Diskurs einzubringen. Offensichtlich ist aktuell (2008 n. Chr.) in manche klerikale und nicht klerikale Führungsebenen noch immer nicht die Erkenntnis vorgedrungen, dass die Wissenschaft längst einen indirekten Gottesbeweis erbracht hat und dieser bestens dazu geeignet wäre, eine globale Gesundung des Gesamtorganismus Menschheit herbeizuführen, indem sämtlichen materialistischen Weltsichten die Überzeugungskraft gebrochen würde. Dies gilt sowohl für neuzeitlichen Atheismus als auch traditionellen Rassismus. Rassist kann nur sein, wer das Gen über den Geist stellt. Dies analysierend tritt klar hervor, dass vergangenen Epochen (auch der Antike) zwar das intuitive Wissen um eine transzendente Gottheit immanent war, jedoch dieser Gottheit bzw. - und bezeichnenderweise - diesen Göttern ebenfalls rassistisches Gedankengut unterstellt wurde. Es ist sehr logisch, dass daraus folgende (Ohn!)machtsregime zu trauriger Berühmtheit gelangten. Man denke nur an die Ausrottung von Indianern, an Sklaverei und an die industrialisierte Vernichtung von Juden. Dass sich derartiges Handeln „im Namen Gottes“ eine wahre Gottheit nicht gefallen lassen konnte, ist sehr logisch. Frei nach dem Motto, dass stets die Kinder für die Sünden der Väter büßen müssen, büßen wir aktuell für die Sünden unserer Vorfahren, indem wir uns selber von Gott befreit haben.
In der sogenannten Postmoderne ist alles und nichts gleichzeitig verwirklicht. Unter dem Motto „nix ist fix“ wird alles denkbar. Empirisch arbeitende Wissenschaftler kritisieren zu recht an Teilen der postmodernen Debatte einen Hang zum Irrationalismus und eine Leugnung der objektiven Realität. Berühmt ist die so genannte Sokal-Affäre, in der ein absichtlich unsinniger Artikel, der sich sprachlich an die Arbeiten Baudrillards anlehnte, in Social Text als vorgeblich wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht wurde. Laut Alan Sokal zeige das Gelingen dieses Versuchs die mangelhaften intellektuellen Standards und den Missbrauch mathematisch-naturwissenschaftlicher Metaphern in der sich postmodern verstehenden geistes- und sozialwissenschaftlichen Szene.
Nun wage ich, die Frage „Warum komponieren Sie so wie Sie es tun?“ zu beantworten: Ich knüpfe an die guten und richtigen Überzeugungen der Antike über das Barock bis zur Romantik naturwissenschaftlich fundiert an, verneine jedoch strikt deren rassistische Tendenzen, indem ich mich auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse stütze, die besagen, dass es einen transzendenten Logos, den wir gerne als „Gott“ bezeichnen können, geben muss, weil der Beweis nicht materiell nachweisbaren geistigen Antriebes erbracht wurde bei gleichzeitiger ewiger Unlösbarkeit der Frage nach den Gesetzen, die in dieser Geistigkeit herrschen. Folgerichtig soll nie mehr wieder aus egoistischen Motiven Gott über dessen vermeintliche Schriften hinsichtlich seiner angeblichen Motive interpretiert werden. – Es gibt in der Vergangenheit einen Komponisten, in dessen Werk derartige Überlegungen bereits eingeflossen sind: Wolfgang Amadeus Mozart. Seine Musik atmet geradezu den Ausgleich zwischen Kulturen und versöhnt. Vielleicht hat Einstein Mozarts Musik deswegen „als die innere Schönheit des Universums selbst“ empfunden?
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Die abschließende Frage „Warum können Sie so komponieren?“ kann nur mit Wissen über zuvor Dargelegtes verständlich beantwortet werden: Ich kann so komponieren, weil ich um die Existenz eines transzendenten Logos weiß und daher in Melodie- und Harmoniebildung zu keinem einzigen Zeitpunkt zweifle und ratlos bin. Meine Kompositionen sind ein Gleichnis, das übersinnliche Realitäten über Musik erfahrbar macht.
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Es ist überhaupt keine Frage, dass sich gerade jetzt zur Zeit der völligen Auflösung von Sinn und Verstand ein neuer, auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen fußender Sinn und Verstand entwickelt. Darüber werden Kunstwerke errichtet (werden), welche den Weg zur Vollendung der Menschwerdung weisen, der dann mit einer gewissen Latenz beschritten werden wird.
© Michael Paulus, 2008