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Haben Sie schon einmal etwas von der norwegischen Komponistin und Sängerin Kari Bremnes gehört? Nein? Dann folgen Sie doch einmal im WWW diesem Link zu Kari Bremnes offizieller Homepage. Einige werden verwundert sein und sich fragen, wie eine Sängerin dieses Genres Einzug in die Einleitung einer derartigen Rede findet. Die Antwort ist einfach: Ich kenne kaum eine Sängerin oder einen Sänger im sog. klassischen Bereich – Ausnahmen wie Fritz Wunderlich bestätigen nur meine Meinung – die Kari Bremnes absolut perfekte Intonation erreichen. Kari Bremnes singt nicht nur "richtig", indem sie der wohltemperierten Stimmung folgt, sondern tatsächlich "absolut", indem sie einer natürlichen inneren Stimme, die schwingungsgenau jene Frequenzen einer überirdisch anmutenden Gefühlswelt vorgibt, mit traumwandlerischer Sicherheit zu folgen vermag. Somit innewohnt ihren Interpretationen ein Logos, den ich hier, in Anlehnung an die griechische Philosophie von Heraklit über Sokrates, Platon und Aristoteles bis zur Stoa und die aus dem hellenistischen Judentum stammende Meinung verstanden haben möchte, nach welcher "logos" den von Ewigkeit her gedachten Weltgedanken Gottes bezeichnet, der bei der Schöpfung aus Gott herausgetreten sei, den sogenannten Sohn Gottes, den Abglanz der göttlichen Vollkommenheit, das beim Schöpfungswerk beteiligte Mittelwesen zwischen Gott und Welt. Als logos spermatikos („Seelenfünklein“) sei er in jedem beseelten oder vernunftbegabten Wesen von Gottes Schöpfung anzutreffen. Wobei ich erweitern möchte: Es liegt an uns, auf diese "innere Stimme", auf diesen logos spermatikos zu hören. Komponisten meiner Denkungsart suchen wohl lebenslang nach jenen Interpreten, die das können, die logisch dem Logos der Komposition zu folgen vermögen. Was wären Komponisten ohne großartige Interpreten? Franz Schubert z. B. hat überwiegend nur mehr für sich selber und sein inneres Ohr komponiert. Er wäre glücklich gewesen, zu Lebzeiten seine Lieder von einem Fritz Wunderlich gesungen zu hören oder seine Symphonien unter dem Dirigat Karl Böhms aufgeführt zu erleben. Warum ist manchen Komponisten der richtige Ton bei der logischen Interpretation so wichtig? Weil deren Kompositionen sonst nur akademisches Zahlenspiel bleiben, erfahrbar in ihrer gesamten Dimension wohl nur den allerbesten Komponistenkollegen, die sich anhand des Notenbildes eben nicht nur eine Melodie und zugehörige Harmonien und auch polyphone Melodieverstrickungen klanglich vorstellen können, sondern die es auch schaffen, diese Klangvorstellungen in feinste hormonelle Ausschüttungen umzusetzen, die erst jene Stimmungen erzeugen, die "ernste" Musik zum Ziel haben sollte. Die leichte Muse darf sich im Ton auch gerne gelegentlich vergreifen. Es wird ihrer Wirkung nicht sonderlich schaden. Musik, deren Zielorgane überwiegend die Gonaden sind, kann sich auf stereotype, treibende Dauerrhythmen, am besten in Brachiallautstärke vorgetragen und mit einprägsamen Motiven garniert, beschränken. (Um nicht missverstanden zu werden: Ich orte "leichte Musik" in allen musikalischen Schubladen, sie gibt es in der Popmusik ebenso wie in der volkstümlichen Musik oder in der Klassik oder Moderne. Ich will das gar nicht abwertend verstanden wissen und erkläre deshalb ausdrücklich, dass auch ich gerne Musik höre, die "rhythmusdurchwachsen" ist, wenn sie gleichzeitig gehaltvoll ist.) Und Musik, die sich selber vorschreibt, gar keine Musik im engeren Sinn mehr sein zu dürfen, indem alles, was das Empfinden von Musik ausmacht, vermieden werden muss, nimmt sich selber aus derartigen Betrachtungen heraus. Vielleicht sind manche sog. "moderne" oder "zeitgenössische" - was immer das auch sein mag (war Bach seinerzeit nicht auch Zeitgenosse?) – Komponisten so verzweifelt über den Umstand, keine adäquaten Interpreten zu finden, dass sie aus Protest nur mehr schrille und/oder irgend einer Kompositionstheorie folgende Klänge fabrizieren? Nun, die letzte Bemerkung war scherzhaft gemeint. Viel eher verhält es sich mit der sog. "Modernen" so, dass in ihr tatsächlich die Verzweiflung und Ratlosigkeit einer Gesellschaft zum Ausdruck kommt, die an eine göttliche, dem materiell Fassbaren übergeordnete Macht nicht mehr glauben und die naturwissenschaftlich erklärbare Unabdingbarkeit eben dieser Macht noch nicht nachvollziehen kann. Was dabei heraus kommt, wenn oben definierter Logos nicht logisch erscheint und die Gedanken der Aufklärung falsch verstanden wurden, erkennen wir symbolhaft in jenen Kunstausformungen, denen keine innere Logik mehr innewohnt. Da das Verstehen dessen, was "Aufklärung" in der Philosophie bedeutet, so wichtig ist, möchte ich hier Immanuel Kant wörtlich zitieren: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Doch auch diese klare "Definition" der Aufklärung kann zu wohl unbeabsichtigten Missverständnissen führen, wenn der gleiche Kant in seiner "Kritik der reinen Vernunft" u. a. darlegt, dass metaphysische Beweise z. B. für die Unsterblichkeit der Seele, die Unendlichkeit der Welt oder das Dasein Gottes unmöglich seien und die Schlüsse zu unauflöslichen Antinomien (Widersprüchen) und unhaltbaren Beweisen führen würden. Diese Feststellungen sind zwar richtig, müssen aber zwangsläufig erweitert werden, wenn der Wahlspruch der Aufklärung "Sapere aude!" zur Anwendung kommen soll. Entsprechend der Aufforderung, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen, in diesem Fall, Kants, zu bedienen, muss festgestellt werden, dass es zwar niemals direkte Gottesbeweise geben wird können, da Immaterielles nicht mit materiellen physikochemischen Versuchsanordnungen überprüfbar ist, dass es jedoch sehr wohl sich naturwissenschaftlicher Methodologie bedienender indirekte Beweise einer immateriellen Kraft, die als "Gott" bezeichnet werden kann, gibt. Ein sehr einfacher Versuch, den jeder an sich selber ausprobieren kann und der beweist, dass es etwas anderes als die uns als lebendige Wesen zugängliche Welt geben muss, ist die bis an die Grenze des Fassbaren getriebene Frage nach dem "Warum?" Warum gibt es dieses Universum? Warum gibt es mich? Was wäre, wenn es das ABSOLUTE NICHTS gäbe? Was ist das Nichts? Und genau hier kommt der logos spermatikos zur Hilfe: In der Grenzerfahrung des Versuches, sich das absolute Nichts vorzustellen, erkennt ein vernunftbegabtes Wesen wie der Mensch, dass es Nichts nicht geben kann, sondern nur - im Gleichnis des Lebens - an Materie gebundenes Bewusstsein vergeht, um als immaterielle Geisteskraft wiederum das "Nichts", wo auch immer und wie auch immer, zu materialisieren. Es ist mir wesentlich darzulegen, dass ich NICHT zu jenen gehöre, die irgend welche Ausprägungen menschlicher Erkenntnisse verbieten wollen. Derartige Verbote sind immer Zeichen von Schwäche und Selbstzweifel. Obwohl meine Kompositionen sicher nicht unter das fallen, was man aktuell landläufig als "zeitgenössisch" bezeichnet, lehne ich es ab, die Werke "klassischer Zeitgenossen" zu kritisieren oder gar zu verurteilen. ALLE Ausprägungen menschlicher Existenz sind wichtig für die Entwicklung des Kollektivs Menschheit. Die "Moderne" war und ist zwingend notwendig für die Befreiung der Kunst vom Dünkel sich elitär wähnender Kreise. Dass andererseits Vertreter/innen v. a. der modernen Kunstkritikszene eben jene Dünkel unter anderen Voraussetzungen fortsetzen, verwundert nicht denjenigen, der weiß, dass die Haupttriebfeder für gesellschaftliche Änderungen nicht liebevoller Gestaltungswille und der Drang zur Umsetzung gerechter und verantwortungsvoller zwischenmenschlicher Beziehungen war und ist, sondern überwiegend der Hass von Untertanen gegenüber der Obrigkeit. Wenn diese Obrigkeit besiegt wird, wandeln sich die einstigen Revolutionäre sehr schnell zu einer neuen Obrigkeit, die mitunter grausamer agiert als die Besiegten. Ein Mensch, der sich seiner Sache nicht sicher ist, zieht sich entweder verzweifelt zurück oder wird zum aggressiven Angstbeißer, der keine andere Meinung neben seiner duldet, da ihn andere Meinungen psychisch verletzten könnten, wenn es ihnen gelänge, ein mühsam aufgebautes, traditionelles Gedankengebäude ins Wanken zu bringen. Aber auch diese Mechanismen werden mit Geduld gebrochen! Erst, wenn aus Menschen Menschheit geworden ist, wird sich der / die Einzelne wirklich frei entfalten können. Erst dann, wenn es auf dieser Erde keine "Kultur" mehr gibt, die behauptet und schlimmstenfalls sogar wirklich davon überzeugt ist, die einzige, alle selig machen müssende "Wahrheit" zu besitzen, wird es möglich werden, über wichtigere Dinge als Kriege nachzudenken. Die Menschwerdung ist noch nicht abgeschlossen! (Lesen Sie zu diesem Thema gerne mehr in meinem Artikel "Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst"!) Doch zurück zum Logos in der Musik: Ich bin mir ganz sicher, dass sich die Mehrzahl aller Menschen nach den großen Gefühlen und dem wohl allergrößten, der Liebe, sehnt, weil diese Gefühle der Lohn am steinigen, stetig nach oben führenden und gerade deswegen so anstrengenden Weg der Menschwerdung sind. Das kann allein schon anhand der unzähligen sog. Dreigroschenromane oder der langen Liste expliziter Liebesfilme abgelesen werden. Doch wenn die eigentlich sein müssende Ursache dieser Gefühle nicht mehr vorhanden oder bekannt ist, werden sie fragwürdig. Darin liegt auch DER GRUND schlechthin für die Ratlosigkeit, mit der neu entstandenen Kunstwerken, die die Wiedergabe solch großer Gefühle beabsichtigen, von der offiziellen "Kunstkritik" begegnet wird. Und darin liegt auch DER GRUND schlechthin, warum es aktuell so wenige Interpreten und Interpretinnen gibt, die eine Musik, die sich den "großen Gefühlen" verpflichtet fühlt, glaubwürdig wiedergeben können. Wer kann sich schon Gefühlen hingeben und diese darstellen, wenn er nicht nachempfinden kann, weshalb sie entstehen, wenn sie ihm unlogisch erscheinen? Kunst ohne Kenntnis ihrer Ursachen wird zu Kitsch. Es genügt nicht, nur "schön" zu sein. Was hat Mann und Frau vom schönsten Partner, wenn diese Schönheit nur mehr verantwortungslos zur Erreichung ausschließlich materieller Befriedigung im Sinne von erweiteter Art- und Selbsterhaltung dient? Macht, Geld, Einfluss, Sex: Das sind die Schlagwörter, zu deren Erreichung gerne auch "Schönes" eingesetzt wird, aber nur dort, wo es auch sein darf, dort, wo Schönes keine Antwort auf die Frage nach dem "Warum?" erzwingt. Viele wollen schöne Menschen besitzen, und da dieser reale Besitz in den seltensten Fällen, da zumeist nur über den Weg von Reichtum und Macht möglich, gelingt, sind schöne Menschen gern gesehene Objekte in unserer aktuellen Gesellschaft, die sich mit "Sex sells" zufrieden gibt. Und doch ist es so, dass Schönheit zu besonders verantwortungsvollem Umgang mit allem verpflichtet, da Schönheit Vorbildfunktion zukommt. Verfechter einer "schönen Musik", die gleichzeitig das "Hässliche" in den Kompositionen zeitgenössischer Komponisten anprangern und am liebsten verbieten würden, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob nicht doch "hässliche Musik", die zu nichts verführt, die bessere Alternative ist als "schöne Musik", die wie ein Schmerzmittel betäubt. Immerhin gibt es zu dieser Feststellung eindeutige, vor 1945 angesiedelte Beweise. Gehaltvolle Kompositionen sind nicht a priori schön. Sie werden es erst – vielleicht – in der Dreiheit Komposition - Interpretation - Antizipation. Gehaltvolle Kompositionen sind kein Schmerz- oder Schlafmittel, eingesetzt zur besseren Erträglichkeit des Alltages. Gehaltvolle Kompositionen berichten von großen Gefühlen, von Schmerz, Sehnsucht, Leid, Verlangen, Lust, Leidenschaft, göttlicher, nicht zweckgebundener Liebe und werfen somit Fragen auf, die nicht unbedingt angenehme Empfindungen auslösen müssen. Als Beispiel sei wieder Franz Schubert erwähnt: Er hat sehr oft Melodien geschrieben, die er selber ganz anders als die Zuhörerschaft empfunden hat. Immer, wenn Schubert von Moll nach Dur wechselt, treibt es dem Zuhörer die Tränen in die Augen. Das konnte Schubert nicht verstehen. Schubert war Dur die Erlösung von irdischen Qualen und das Vordringen zu anderen Ebenen des Seins; die Zuhörer haben in Dur den Abschied von dieser Welt erkannt und weinen, wie man weint, wenn ein lieber Freund stirbt. In diesem Zusammenhang möchte ich ein ewiges Missverständnis einer Klärung zuführen: Hartnäckig hält sich die Meinung, es sei schon immer so gewesen, dass viele Komponisten von ihren "Zeitgenossen" nicht verstanden worden wären und erst posthum der Gehalt ihrer Kompositionen erkannt worden wäre. Daran knüpfen aktuelle, sich selber als "Zeitgenossen" bezeichnende Komponisten mit der Hoffnung an, ihre Kompositionen würden auch erst zukünftig verstanden und geschätzt werden. Ganz abgesehen davon, dass diese Darstellung nur bei wenigen großen alten Meistern des Faches teilweise zutreffend ist, gelten für jene Fälle eines tatsächlich erst posthum erweiterten Bekanntheits- und Berühmtheitsgrades ganz andere Ursachen, als die gerne vermutete verkannte Genialität. Es ist NICHT so, dass a priori unlogische Kompositionstheorien mit - logisch folgend – eventuell intellektuell erfassbaren, aber niemals gefühlsmäßig nachvollziehbaren Klangspektren irgend wann logisch werden und folgend gern gehört werden. Eine verspätete Anerkennung großer Kompositionen durch das Publikum geht ausschließlich auf zwei Ursachen zurück: Erstens kann es geschehen, dass der Komponist dem "Zeitgeist" voraus ist und somit seine a priori logisch aufgebauten Schlüssel – Kompositionen erst zeitverzögert ihr Schloss beim Publikum finden. Und zweitens - und in den meisten Fällen hauptsächlich – liegt das "Durchfallen" einer großen Komposition an der mangelhaften Aufführungsqualität, die aber wiederum vor allem an dem mangelnden Verständnis des in der Komposition innewohnenden Logos durch die Interpreten liegt, womit sich wieder einmal der Erklärungskreis geschlossen hat. Zu Erstgenanntem ergänzend erläutere ich - notwendigerweise umfangreich -, wieso es geschehen kann, dass der allgemeine Zeitgeist jenem von kreativ Tätigen mit unter Umständen jahrzehntelanger Latenz nachfolgt: Die wesentlichen Meilensteine auf dem Weg der "Menschwerdung" sind:
Bei der "Erkenntnis" sind in einer – in universalen Maßen gemessenen – sehr kurzen Zeit von wenigen Jahrtausenden wesentliche Phasen durchlaufen worden (in den einzelnen Kulturen dieser Erde natürlich mitunter zeitversetzt):
Und sollte nun beim geschätzten Hörer dieser Botschaft die Frage aufkommen, was denn dies alles mit der Behauptung, der allgemeine Zeitgeist würde den Überzeugungen kreativ Tätiger mit Latenz nachfolgen, zu tun haben, antworte ich mit der lapidaren Feststellung: Der Beweis ist soeben quod erat demonstrandum für all diejenigen, die diese Feststellung bezweifeln, erfolgt. Im Klartext: "Kunst", gleich welcher Art, kann nur schaffen, wer sich sehr viele Gedanken macht über das Wesen der Dinge. Und diese Gedanken mögen den kollektiven Gedanken und dem Zeitgeist voraus eilen. Irgendwann holt sie der Zeitgeist wieder ein und macht sie sich zueigen. Das ist der Lauf der Dinge! Es soll jedem unbenommen bleiben, sich dem Glauben hinzugeben, große Kompositionen unter Ausschaltung des eingangs erwähnten logos spermatikos schaffen zu können. Das Urteil fällt mit der Zeit ein universaler Logos. Und was geschieht, wenn der Schlüssel "Komposition" nicht in das Schloss der ins Himmelreich, dem Logos schlechthin, führenden Tür passt, ist ganz einfach: Die Tür geht nicht auf! Ich wiederhole: Gehaltvolle Kompositionen sind nicht automatisch schön. Und erweitere: Gehaltvolle Kompositionen müssen nicht a priori der ernsten Musik zugeordnet sein. Sie können auch und gerade in ernsthaften Volksmusikweisen und in Popmusik, ja, in jeder Art von Musik vorkommen. Womit ich wieder auf Kari Bremnes verweise: Wer sich den mitunter genialen Kompositionen und Interpretationen dieser Frau ganz hingibt und wirklich zuhört, lauscht, beginnt zu ahnen, wie Musik, die sich großen Gefühlen verpflichtet fühlt, interpretiert werden sollte: Nicht vordergründig schön, sondern richtig. Nicht vordergründig gefühlvoll, sondern jede Nuance einer Tonschwebung auskostend, eben jene durch minimalste Hormonfreisetzungen ausgelöste kleinste Schattierungen von Gefühlen provozierend. Exemplarisch heraus gegriffen sei hier das Lied "Dine øine" ("Deine Augen") aus dem 1993 veröffentlichten Album "løsrivelse" (wörtlich übersetzt: Befreiung; sinngemäß eher: Aufbruch). Der Komponist ist Kjetil Björnstad; der Text stammt von Edvard Munch. Kari Bremnes singt den norwegischen Text, in dem ein Mädchen zu einem Mann spricht, in dessen Augen sie "aufblickt". Das Wort "Liebe" kommt nicht vor; und doch verbreitet Bremnes Gesang in Verbindung mit der schlichten Eindringlichkeit des Textes und der Musik eine Stimmung, die den für solche Gefühle empfänglichen Zuhörer in ein Gefühl der logischen Liebe entrückt, in ein Gefühl des zu einem Moment verdichteten Logos des Universums. In solchen Momenten darf schon mal das Prädikat "wunderschön" verwendet werden. Denn die Vermittlung von simpler, nicht tragischer, "romantischer" zwischenmenschlicher Liebe gehört wohl zu dem Schwierigsten, was Kunst vollbringen kann, da derartige Versuche stets davon bedroht sind, trivial zu werden, indem der Ursache der Empfindung keine Bedeutung beigemessen wird. Doch in diesem speziellen Fall "Dine øine" schaffen Komposition, Text und Interpretation genau dies, nämlich die Ursache der Liebesempfindung und, wie es im Liedtext wörtlich heißt, die usynlige tråde (unsichtbaren Verbindungslinien) dazustellen: eine die Liebenden umgebende Natur, repräsentiert durch die Instrumentalisten, und das in diese Natur eingebettete Mädchen, repräsentiert durch Kari Bremnes, deren Gesang vom ersten Wort an in absolut logischer, stimmiger Klarheit keinen Zweifel an ihren Gefühlen zum logisch zu ihr gehörenden Mann aufkommen lässt. Lassen Sie mich einen Teil des Textes im norwegischen Original zitieren und dann wörtlich ins Deutsche übersetzen:
Der Begriff "Schönheit" und die Eigenschaft "schön" werden leider sehr verschwenderisch gebraucht, ebenso das Schlagwort "Liebe", eine Liebe, die gerne konsumiert, aber fast nie gegeben wird, woraus allein schon klar wird, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen dem, was Menschen gemeinhin für Liebe halten und dem, was Liebe wirklich ist. Der Genuss von "Schönem" ist nicht Liebe, sondern egoistische Lustbefriedigung, die automatisch die Lust am Vertreiben anderer im Sinne des vollzogenen Futterneides in sich trägt. Nur das VERSTEHEN von Zusammenhängen schafft die Möglichkeit göttlicher Liebeserfahrungen. Das Publikum kann eine Komposition nur dann vollständig verstehen, wenn sie die Interpreten verstanden haben. Deshalb wähle ich als "klassischer" Komponist Kari Bremnes als Beispiel dafür, wie es sein sollte. Denn Kari Bremnes ist gleichzeitig der Interpret ihrer vielen eigenen Kompositionen. Ihre zumeist kongenialen Mitspieler treten zurück vor der absolut richtigen Stimme Bremnes und beschränken sich auf das Hinzufügen mitunter höchst moderner Klangstrukturen. Die Aufnahmen selber tragen aufgrund der technisch überragenden Aufnahmequalität und dank künstlerisch agierender Tonmeister zu einem ganz speziellen Gesamtkunstwerk bei, von dem man in der klassischen Musik bislang zumeist nur träumen konnte und kann. Herbert von Karajan hat erkannt, wie wichtig gute Aufnahmen und das Medium CD für eine zeitlose Weitergabe von Klassik sind. Ich gehe so weit zu behaupten, dass wir erst am Anfang stehen einer in der sog. ernsten Musik stattfindenden müssenden engen künstlerischen Zusammenarbeit von Komponisten, Interpreten und Tonmeistern. Erst das Ausschöpfen aller Potentiale wird bislang nicht vorstellbare Klangerlebnisse möglich machen. Diese Klangerlebnisse werden einen guten Beitrag leisten im tiefenpsychologischen Erkenntnisprozess der Menschheit und damit die Menschwerdung logisch vorantreiben. © Michael Paulus, 2008 |
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