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Kann die deutsche Sprache die mit Liebe, v. a. erotischer Liebe, assoziierten Gefühle überhaupt vermitteln? Die deutsche Sprache dient eher der präzisen Weitergabe von objektivierbaren Tatsachen als der Vermittlung von subjektiven Emotionen. Deutsch ist in erster Linie die Sprache der Wissenschaftler und Philosophen, aber nicht jene der Künstler. Die Feststellung „Ich liebe dich.“ klingt wie ein rechtsgültiger Vertrag, der einen Besitzanspruch anmeldet. Vergleichen wir mit zwei anderen Sprachen; Englisch und Französisch: „„I love you. “ Das „I“ öffnet. Die Seele haucht förmlich aus dem Mund ins Gesicht der geliebten Person. „Love“ fordert das, was im „you“ vollzogen wird: die Liebe. „„Je t’aime. “ Ein einziger sinnlicher, zärtlicher Hauch, in welchem das „je“ noch die größte Härte beweist. Das „Je“ als fordernder, männlicher Part, der sich in der liebenden Frau („t’aime“) sehnsüchtig verliert. Manche Zuhörer mögen verwundert sein ob dieser Feststellungen. Was hat denn das alles mit dem Komponieren zu tun? – Sehr viel! Komponiert wird nicht nur im Sinne einer Vermittlung von Gefühlen, sondern auch über Gedanken. Z. B. werden Liedtexte vertont. Wer mit der deutschen Sprache Gefühle – wie jene, die mit Liebe assoziiert werden – vermitteln möchte, muss sich schon einer ganz eigenen Kunstsprache bedienen, wenn er nicht lächerlichen Kitsch produzieren möchte. Rainer Maria Rilke war z. B. ein Meister seiner eigenen Kunstsprache. Johann Wolfgang von Goethe hingegen hat nie eine Kunstsprache angewendet. Er hat einfach Deutsch gesprochen, das Deutsch eines Bürokraten. Die Genialität Goethes liegt nicht im Erfinden kunstvoller Wortzusammenstellungen, sondern in seinen Aussagen begründet, die er einfach deutsch und deutlich wiedergibt. Die wenigen Wörter, die Goethe selber kreiert hat (z. B. „hinan“) vermitteln keine Gefühle, sondern sind auf den Punkt gebrachte, eindeutige Aussagen; eindeutig zumindest für den, der die Philosophie Goethes kennt und versteht. Niemals hätte Rilke das Ende des Faust 2 so formuliert:
Zur Inhaltsvermittlung des letzten Satzes hätte Rilke ein ganzes Leben lang Gedichte geschrieben – und hätte dennoch nie die Tragweite dieser schlichten Aussage vermitteln können. Andererseits kann sich niemand vorstellen, dass Goethe jemals folgende Zeile Rilkes geschrieben hätte: „…wenn nur ganz leis’ dein glockenreines Gelächter in mir widerhallt…“ Wieso empfindet niemand Rilkes Gedichte kitschig? Weil er die Wörter so passend unpassend setzt, dass nie banale Gedanken zu banalem Reim aufkommen. Hätte er geschrieben „Neben dir, du Kind, du kleines, fühle ich mich ernst und alt, wenn in mir dein glockenreines Gelächter widerhallt“ wäre er wohl nie so berühmt geworden. Doch wie setzt Rilke diese Feststellungen? So:
Rilke gelingt es derart, die deutsche Sprache der Wissenschaft sinnvoll zu erweitern. Kann man Rilke und Goethe vertonen? Ja. Aber ist das zwingend notwendig? Fehlt diesen Gedichten bzw. Feststellungen in Gedichtform etwas, wenn sie nicht vertont sind? Nein! Die klare Aussage Goethes bedarf keiner Musik, die mit ihr in Konkurrenz tritt. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Goethe keinen besonderen Zugang zur Vertonung durch Franz Schubert gefunden hat. Ihm musste eine schlichtere Vertonung, die wenig von der Kraft seiner Aussagen ablenkte, lieber sein. Rilkes Sprachmelodie hingegen kann in einer Vertonung nur gebrochen oder sinnlos verkitscht werden. Nun gibt es aber auch deutsche Texte, die direkt nach Vertonung rufen, weil sie zwar sehr gefühlsschwangere Aussagen treffen, diese aber rein textlich nur indirekt vermitteln, und die daher nur von einem gleich gestimmten Empfänger richtig nachempfunden werden können. Ein klassisches Beispiel dafür ist Wilhelm Müller, der über Schuberts Vertonungen eine gewisse Bekanntheit erlangte. Ein Teil seiner Gedichte ist so untrennbar mit der Interpretation durch Schuberts Melodien und Harmonien verbunden, dass jeder, der die Zyklen „Winterreise“ oder „Die schöne Müllerin“ kennt, beim Lesen der Gedichte Schubert im Ohr hat:
Müller und Schubert haben hier (unbewusst) ein Gesamtkunstwerk geschaffen. Schubert hat Müller ganz genau verstanden. Doch wer verstünde Müller heute – ohne Schubert? Schubert bricht die teilweise Banalität des Reimes in Müllers Gedichten. So ist z. B. die Wendung „Gefrorne Tropfen fallen mir von den Wangen ab. Ob es mir denn entgangen, dass ich geweinet hab?“ nur eine (banale) Feststellung ohne großen philosophischen Tiefgang. Erst die Musik Schuberts vermittelt unmittelbar die entsagende Sehnsucht eines unglücklich Verliebten. Die Quintessenz aus diesen Überlegungen lautet: Vertonte Texte müssen nicht stilistisch und/oder inhaltlich genial sein. Sie sollten nur eines aufweisen: einen tragfähigen Inhalt. Schubert sah das ebenso, wenn er feststellte: „Bei manchen Texten fällt einem gleich was Gscheites ein.“ Wer mit der deutschen Sprache ganz ohne Musik etwas Gescheites kreieren will, sollte sich ein Beispiel an Menschen wie Goethe oder Rilke nehmen. Manche suchen ihr Heil in einer anderen Methode: Sie zerhacken die Sprache so sehr, dass sie derart sozusagen ein Kunstprodukt erzwingen. Ob dieses dann aber auch als Kunstwerk in die Geschichte eingeht; darüber werden hinkünftige Zeiten befinden. Wenn es niemanden gibt, der erklärt, warum etwas gut ist, bleibt das bestehen, was wirklich gut ist. An das Ende dieser Rede möchte ich ein Gedicht zur Liebe stellen, das ich bewusst ganz kurz und sachlich gehalten habe bei gleichzeitig striktem Reim. Es eignet sich sicher nicht für eine Vertonung. Ich sehe mich nicht befähigt, ein Gedicht in der Qualität Rilkes zu schaffen. Die meisten meiner Gedichte, die ich selber vertone, bedürfen der Musik, um allgemein verständlich zu werden und nachhaltig wirken zu können.
© Michael Paulus, 2010 |
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