Tonale Musik folgt biologischen Naturgesetzen und berührt damit die Biomasse Mensch eher in ihrer Gesamtheit als atonale Musik, die über das Aufstellen diversester konstruierter Individualgesetze nur das denkende Hirn zur Absonderung bestimmter, eventuell als angenehm empfundener Hirnpotentiale bewegt. Allerdings darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass atonale Musik, so sie einer tatsächlich zwingenden Logik folgt, die über einen gekonnten Einsatz von zueinander in mathematisch errechneten Schwingungsverhälnissen stehenden Tönen tatsächlich eine kosmisch anmutende Sphärenmusik erzeugt, eine faszinierende Wirkung haben kann. Der Komponist Josef Matthias Hauer hat bewiesen, dass sogar der goldene Schnitt im Verhältnis der Intervalle zueinander ein berührend schönes Klangspektrum zur Folge haben kann. Gänzlich abzulehnen sind jedoch jene Machwerke von Komponisten, die sowohl völlig untalentiert als auch bar jeder Geistigkeit im Sinne einer Zwangsneurose irgend etwas, hauptsächlich Neues fabrizieren, das sich sowohl intellektueller als auch gefühlsmäßiger Prüfung entzieht. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob die Kompositionen tonal oder atonal erfolgen: Ein konservativer, der Tonalität verpflichteter Komponist oder - zu früheren Zeiten - Interpret, der gar nicht mehr von seinem Glauben an Gott überzeugt ist, füllt gegebene tonale Vorlagen (Kadenzen) ohne zwingende geistige Inhalte. Seine Werke bekommen einen schalen Geschmack. Sie sind de facto langweilig. Ein fortschrittlicher, der Atonalität verpflichteter Komponist, drückt die Hoffnung auf eine die Menschheit erlösende „Weltformel“ auch in seinen Kompositionen aus, indem er versucht, sein atonales Konstrukt zur „Weltformel“ des Komponierens zu machen, anhand derer es dann jedem möglich sein müsse, große Kompositionen zu schaffen, die der dann inzwischen ebenso geeinten Menschheit allgemein verständlich sein müssten. Doch diese Rechnung geht nicht auf, weil atonale Musik nur über mathematische Gesetzmäßigkeiten zu jenem klanglichen Ziel führen kann, das zuvor mit Formeln postuliert wurde.
Es ist auch höchst interessant festzustellen, dass viele atheistische moderne Künstler, welche die Toleranz so gerne von anderen fordern, am intolerantesten sind, wenn es um neue Kunstwerke von Kollegen geht, die sich nicht dem Diktat der modernen Kunstkritik unterordnen. Dieses Verhalten verwundert nicht, wenn bedacht wird, dass ausschließlich der Materie verhaftete Kunstprodukte automatisch immer in einem Wettstreit stehen müssen, der da lautet: noch mehr anders, noch innovativer, noch verrückter, noch provokanter, noch abscheulicher, immer in der Hoffnung, nicht mehr überboten werden zu können und so wenigstens über die Kunstprodukte Unsterblichkeit zu erlangen. Ein Künstler hingegen, der sich anderer Dimensionen des Seins bewusst ist, wird immer den auf die Materie beschränkten Teil seines Kunstwerkes als Mittel zum Zweck des Transportes von übergeordneten Wahrheiten sehen, die ewig gleich und auch zukünftig gültig sind. Somit ist der Zwang, der Beste zu sein, sehr relativiert. Ein Komponist etwa muss nicht unbedingt besser als Bach sein, um anerkannt zu werden, er sollte nur danach trachten, auf seine Weise mit den Mitteln seiner Zeit eine neue Komposition zu inspirieren.
Friedrich von Hardenberg, besser bekannt als Novalis, hat einmal folgende Aussage getätigt: Die höchste Form der Mathematik ist die Musik. Ob er dabei die späteren atonalen Entwicklungen voraus gesehen oder aber nur die in der tonalen Musik ebenfalls mathematischen Prinzipien folgenden Verhältnisse der Töne zueinander gemeint hat, lassen wir dahin gestellt. Wesentlich ist nämlich nur die Feststellung der Erkenntnis, dass auch hier ein Ding ein anderes codiert: Eine mathematische Formel bringt Luftsäulen zum Schwingen und beeinflusst über Gehörsempfindungen Gefühlslagen eines Menschen, die ihn derart mit kosmischen Gesetzen in Einklang bringen, die er sonst mit seinen Sinnen nicht empfinden könnte. Derart dringt der Zuhörer ein in eine ganz bestimmte Hinterwelt, die ihm wiederum Mittler zur Tatsache der Unendlichkeit wird. |